Ü50 & HIV? - HIV-Spätdiagnosen bei Menschen im Alter
Heute geht es um ein Thema, das uns schon lange beschäftigt und das an unseren bereits veröffentlichten Blogartikel “Sex und Schutz Ü 50?!“ anschließt.
Den letzten Anstoß für den heutigen Artikel zu spät gestellten HIV-Diagnosen bei Menschen über 50 Jahren bot ein wertvoller Beitrag Dr. Sven Schellbergs auf dem Deutsch-Österreichischen AIDS-Kongress 2023 zum Thema “Find HIV - Wo liegen die verpassten Chancen für eine frühere Diagnose?", den einige unserer Kolleg:innen verfolgen durften. Die späte Veröffentlichung des Blogartikels ist den Folgen des Cyberangriffs geschuldet.
HIV-Infektion bei Menschen Ü50?
Ja, Menschen über 50 Jahre leben - wie alle Anderen auch - ihre Intimität und Sexualität aus. Doch das Alter schützt dabei nicht vor Infektionen mit Erregern wie HIV, Gonokokken und Co. Leider nimmt bei sexuell aktiven älteren Menschen das Thema Schutz und Testungen oft eine weniger wichtige Rolle ein (NDR 2018). Zugleich deuten Erkenntnisse von Ärzt:innen darauf hin, dass die Ansteckung mit dem Virus bereits ein paar Jahre zurückliegt und sich der Virus meist unbemerkt und von Ärzt:innen unentdeckt im Körper ausbreiten und schädigende Wirkung entfalten konnte (vgl. Schellberg 2023).
Wieso ist die späte Diagnose von HIV problematisch?
HIV ist ein Virus, das die Abwehrkräfte des Körpers - auch Immunsystem genannt - schädigt. Wird eine Infektion mit HIV frühzeitig erkannt, kann durch eine erfolgreiche medikamentöse Therapie die Ausbreitung des Virus im Körper verhindert und die Virusmenge so weit reduziert werden, dass das Virus nicht mehr nachweisbar ist. Das bedeutet, dass unter Therapie stehende HIV-positive Menschen für andere Personen nicht mehr ansteckend sind - auch nicht beim ungeschützten Sexualverkehr. Zudem kann der Ausbruch der Krankheit AIDS vermieden werden.
Wird eine HIV-Infektion nicht behandelt, dann kann sich das Virus ungehindert im Körper vermehren, wodurch das Immunsystem so geschwächt wird, dass er sich nicht mehr gegen andere vermeintliche “harmlose” Erkrankungen schützen kann. Auf diese Weise können im Stadium AIDS lebensbedrohliche Erkrankungen wie eine schwere Lungenentzündung auftreten.
HIV ist also ein ernst zu nehmender Virus, der einen frühzeitigen Therapiebeginn bedarf (vgl. Bogner 2017).
Warum wird die HIV-Infektion nicht früher entdeckt?
Hierfür gibt es sicherlich mehrere Gründe, die wir am Beispiel folgender dreier Aussagen verdeutlichen wollen:
“Über Sex spricht man nicht”
Ein zentraler Faktor, warum eine HIV-Infektion nicht diagnostiziert wird, ist unter Umständen Scham. Scham kann bei Ärzt:innen und Betroffenen vorliegen. Sexualität wird im (haus-)ärztlichen Gespräch selten thematisiert. Menschen haben Angst, aufgrund ihrer Sexualpraktiken, Sexualkontakte oder sexuellen Orientierung diskriminiert zu werden. So kann es vorkommen, dass zwar eine Symptomatik vorliegt, die jedoch erst mit der Information über stattgefundene Sexkontakte (z.B. Mann-Sex-Mann-Kontakte (MSM), außereheliche Sexkontakte, ggf. im Ausland, in denen höhere Infektionszahlen sind) den Verdacht einer möglichen HIV-Infektion aufkommen lässt (vgl. Bogner et al. 2021: 17). Daher ist es erforderlich, dass Ärzt:innen unabhängig der sexuellen Orientierung und der weiteren sozialen Faktoren, noch genauer nach dem persönlichen Sexualverhalten fragen.
“HIV - hab ich noch nie gesehen”
Ein Blick auf die Symptome verweist auf eine weitere Schwierigkeit einer frühzeitigen Diagnostik: eine HIV-Infektion geht insbesondere anfangs mit wenig eindeutigen Symptomen einher, verläuft nicht selten symptomfrei oder die Symptome wie Abgeschlagenheit oder Durchfall verschwinden nach kurzer Zeit bereits wieder. Dadurch kann es vorkommen, dass eine betroffene Person gar keine ärztliche Praxis aufsucht oder aufgrund bspw. von grippeähnlichen Symptomen nicht zwangsläufig eine akute HIV-Infektion als Ursache in Verdacht steht - insbesondere nicht, wenn es sich um eine:n Patient:in in einer festen, heterosexuellen Partnerschaft handelt.
“Sex haben nur die jungen Leute”
Und zuletzt spielt das Alter und die Zuschreibung einer damit einhergehenden sexuellen Inaktivität eine zentrale Rolle für späte HIV-Diagnosen bei Personen über 50 Jahren. Sexuelle Aktivität wird eher jüngeren Menschen zugesprochen, weshalb Menschen ab circa 50 Jahren nicht als “Risikogruppe” für eine HIV-Infektion angesehen werden. So bleibt das Thema oft unberücksichtigt, wenn sich diese Menschen mit Symptomen an ihre:n Arzt:Ärztin wenden.
Was kann ich tun? Lass Dich testen!
Neben dem Appell an Lesende aus dem medizinischen Bereich, auch älteren Menschen bei vorliegender Symptomatik oder unklarem Krankheitsbild einen HIV-Test anzubieten, raten wir von “SiWi will’s gesund” allen sexuell aktiven Menschen - egal welchen Alters - sich regelmäßig auf HIV und weitere sexuell übertragbare Infektionen testen zu lassen. Das geht bei uns kostenfrei, anonym und selbstverständlich vorurteilsfrei. Melde Dich gerne. So erreichst Du uns.
Abschließend danken wir Dr. Schellberg, der uns in unserer Sensibilität für das Thema später HIV-Diagnosen bei älteren Menschen bestärkt hat und seine Erkenntnisse in die (Fach-)Öffentlichkeit trägt!